Umwandlungsfähigkeit von Folsäure

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Folsäure gehört zu den bekanntesten Vitaminen in der Prävention – insbesondere rund um Schwangerschaft, Herz-Kreislauf-Gesundheit und neurologisches Wohlbefinden. Doch nicht jede Folsäure wirkt gleich. Denn die synthetische Form, wie sie in vielen Nahrungsergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmitteln verwendet wird, ist biologisch inaktiv und muss im Körper erst in ihre aktive Form – 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) – umgewandelt werden. Der Schlüssel zu diesem biochemischen Prozess liegt im Enzym Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) – und genau hier entscheidet die individuelle genetische Ausstattung über die tatsächliche Bioverfügbarkeit und Wirksamkeit von Folsäure. Varianten im MTHFR-Gen können die Aktivität dieses Enzyms erheblich beeinflussen und damit erklären, warum manche Menschen trotz ausreichender Folsäurezufuhr funktionelle Mängel entwickeln. In der Folge steigt der Homocysteinspiegel, während zentrale Prozesse wie DNA-Synthese, Zellteilung und Methylierung aus dem Gleichgewicht geraten – mit potenziellen Auswirkungen auf Gefäßgesundheit, Nervensystem und Stoffwechselregulation. Der folgende Beitrag zeigt auf, wie genau der Folatstoffwechsel funktioniert, welche Rolle das MTHFR-Gen dabei spielt, welche genetischen Varianten besonders relevant sind – und wie sich daraus präzise Empfehlungen für eine personalisierte Mikronährstoffstrategie ableiten lassen. Ein essenzielles Thema für alle, die Prävention nicht dem Zufall überlassen wollen.

Das Wichtigste in Kürze
  • Folsäure ist die synthetische Form von Vitamin B9 und muss im Körper enzymatisch in die biologisch aktive Form 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) umgewandelt werden, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Nur 5-MTHF kann am Methylstoffwechsel teilnehmen und kann entscheidend für DNA-Synthese, Zellteilung, Entgiftung und Homocysteinregulation sein.

  • Die Umwandlung erfolgt über mehrere Zwischenschritte, wobei das Enzym Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) eine Schlüsselrolle spielt. Eine reduzierte Aktivität dieses Enzyms – z. B. durch genetische Polymorphismen wie rs1801133 oder rs1801131 – kann zu einer unzureichenden Bildung von 5-MTHF führen. In solchen Fällen besteht trotz ausreichender Folsäurezufuhr ein funktioneller Folatmangel.

  • Für die medizinische Praxis ist wichtig, dass bei Patient:innen mit eingeschränkter MTHFR-Aktivität direkt 5-MTHF supplementiert wird (üblich: 400–800 µg/Tag, bei Bedarf mehr). Ergänzend sollten aktive Formen von Vitamin B12, B6, B2 sowie ggf. Betain (TMG) berücksichtigt werden. Besonders in der Schwangerschaft und bei erhöhtem Homocystein ist dieser Ansatz klinisch relevant, um Methylierungsprozesse, Gefäßgesundheit und neurologische Funktionen zu unterstützen.

Inhaltsverzeichnis

Folsäure ist die synthetisch hergestellte Form des Vitamins B9. Sie wird seit vielen Jahren in angereicherten Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt, da sie im Vergleich zu den natürlich vorkommenden Folaten besonders stabil gegenüber Licht, Hitze und Oxidation ist. Im menschlichen Körper übernimmt Vitamin B9 eine Vielzahl lebenswichtiger Funktionen: Es ist zentral an der Zellteilung, DNA- und RNA-Synthese, Blutbildung, dem Aminosäurestoffwechsel sowie an der Methylierung beteiligt. Einem fundamentalen biochemischen Vorgang zur Regulation von Genaktivität, Zellwachstum, Entgiftung und Neurotransmitter-Synthese. Da Folsäure in ihrer synthetischen Form biologisch inaktiv ist, muss sie nach der intestinalen Aufnahme durch mehrere enzymatische Schritte in bioaktive Zwischen- und Endprodukte umgewandelt werden. Dieser Umwandlungsprozess beginnt in der Leber und anderen Geweben und verläuft in mehreren Phasen: Zunächst wird Folsäure durch das Enzym Dihydrofolatreduktase (DHFR) in Dihydrofolat (DHF) und weiter in Tetrahydrofolat (THF) überführt. THF dient als Trägermolekül für sogenannte C1-Gruppen, also chemische Ein-Kohlenstoff-Einheiten, die für zahlreiche Biosynthesen erforderlich sind.

Eine der wichtigsten Zwischenstufen ist 5,10-Methylen-Tetrahydrofolat (5,10-Methylene-THF), das sowohl für die Synthese von Thymidinmonophosphat (dTMP), als auch für die spätere Bildung der aktiven Folatform 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) benötigt wird. Letztere ist von besonderer Bedeutung, da sie als einziges Folat-Derivat fähig ist, Homocystein mithilfe des Enzyms Methioninsynthase (MS) in Methionin zu überführen. Methionin wiederum ist die Ausgangssubstanz für S-Adenosylmethionin (SAM), das als universeller Methylgruppendonator an über 100 enzymatischen Reaktionen beteiligt ist. Darunter DNA- und Histonmethylierung, Neurotransmitterstoffwechsel, Hormonaktivierung und Zellmembransynthese.

Die Bildung von 5-MTHF aus 5,10-Methylene-THF stellt einen Schlüsselschritt im Folatstoffwechsel dar und wird ausschließlich durch das Enzym Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) katalysiert. MTHFR ist ein flavinabhängiges Oxidoreduktase-Enzym, das NADPH als Elektronendonor und FAD (Flavin-Adenin-Dinukleotid, abgeleitet aus Vitamin B2) als Cofaktor nutzt, um die Reduktion dieser kritischen Zwischenstufe zu ermöglichen. Die Aktivität von MTHFR bestimmt damit maßgeblich, wie effizient die im Körper vorhandenen oder supplementierten Folate in ihre biologisch relevante Form überführt werden können. Eine verminderte Aktivität des MTHFR-Enzyms, sei es durch genetische Polymorphismen, eingeschränkte Verfügbarkeit von Kofaktoren oder chronischen oxidativen Stress, kann die Umwandlung zu 5-MTHF signifikant reduzieren. Die Konsequenzen sind tiefgreifend: Trotz ausreichender Folsäurezufuhr kann es zu einem funktionellen Folatmangel kommen, da die benötigte aktive Form nicht in ausreichender Menge gebildet wird. Gleichzeitig steigt der Homocysteinspiegel im Plasma an, was in zahlreichen Studien mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerativen Erkrankungen, Schwangerschaftskomplikationen und psychiatrischen Störungen assoziiert wurde.

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Implikationen für den Praxisalltag

Die Kenntnis des individuellen MTHFR-Genotyps bietet eine wertvolle Grundlage für eine personalisierte Mikronährstoffstrategie. Ein funktioneller Folatmangel wird besonders kritisch in Lebensphasen mit erhöhtem Bedarf, etwa während der Schwangerschaft. Ausreichend aktives Folat ist essenziell für die embryonale Entwicklung, insbesondere zur Vermeidung von Neuralrohrdefekten. Auch bei Kinderwunsch sollte daher frühzeitig auf eine gezielte Supplementierung mit 5-MTHF gesetzt werden, da Frauen mit eingeschränkter MTHFR-Aktivität Folsäure nur unzureichend umwandeln können. Anders als synthetische Folsäure kann 5-MTHF vom Körper direkt genutzt werden, ohne auf die enzymatische Aktivierung angewiesen zu sein. Es stellt somit die sicherere und effektivere Option dar – sowohl zur Prävention als auch zur Therapie eines Mangels.

Je nach genetischer Ausgangslage, Laborwerten (z. B. Homocystein, SAM/SAH-Ratio, Vollblutfolat) und klinischer Symptomatik liegt die empfohlene Tagesdosis von 5-Methyltetrahydrofolat typischerweise im Bereich von 400 bis 800 µg, bei diagnostiziertem Mangel oder in der Schwangerschaft kann sie auch auf 1.000 µg oder mehr erhöht werden. Eine parallele Versorgung mit Vitamin B12 in seiner aktiven Form (Methylcobalamin) sowie Vitamin B6 (Pyridoxal-5-Phosphat) ist sinnvoll, da diese Nährstoffe im eng gekoppelten Homocystein- und Methylstoffwechsel ebenfalls unverzichtbar sind. Auch Vitamin B2 (Riboflavin) sollte berücksichtigt werden, da es als Kofaktor der MTHFR selbst wirkt und die Enzymaktivität unterstützen kann. Bei stark erhöhtem Homocysteinwert kann zusätzlich Betain (TMG) ergänzt werden, ein alternativer Methylgruppendonor, der unabhängig von Folat und B12 wirkt.

Neben der Mikronährstoffversorgung spielt auch die Ernährung eine zentrale Rolle. Besonders folatreiche Lebensmittel sind dunkelgrünes Blattgemüse wie Spinat, Mangold und Rucola, außerdem Brokkoli, Avocado, Spargel und Hülsenfrüchte. Auch Leber ist eine sehr gute Quelle, sollte in der Schwangerschaft allerdings nur in Maßen konsumiert werden. Stark verarbeitete Produkte, Alkohol, Rauchen und übermäßiger Kaffeekonsum sollten möglichst reduziert werden, da sie die Aufnahme und Verwertung von Mikronährstoffen negativ beeinflussen können.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Kombination aus genetischer Diagnostik, gezielter Supplementierung bioaktiver Mikronährstoffe, nährstoffreicher Ernährung und einem ganzheitlich gesundheitsfördernden Lebensstil stellt einen äußerst wirkungsvollen und wissenschaftlich fundierten Ansatz zur Prävention und Behandlung eines funktionellen Folatmangels dar. Besonders bei eingeschränkter MTHFR-Aktivität kann dieses integrative Vorgehen einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung des Methylstoffwechsels, zur Normalisierung des Homocysteinspiegels und zur langfristigen Gesundheitsförderung leisten, individuell angepasst und alltagsnah umsetzbar.

 

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