Aufnahme von Calcium

Lesedauer: 12 Minuten

Aufnahme von Calcium

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Laktose fördert im Dünndarm die Resorption von Kalzium – einem Mineral, das überwiegend in Knochengewebe eingebaut, aber auch für neuromuskuläre, hormonelle und hämostatische Prozesse benötigt wird. Der Abbau von Laktose ist abhängig von der Aktivität des Enzyms Laktase, das durch das LCT-Gen codiert wird. Eine verminderte oder ausbleibende Laktaseexpression im Erwachsenenalter – genetisch als Laktase-Nichtpersistenz definiert – führt zur eingeschränkten Laktoseverwertung und hat damit potenziell negative Auswirkungen auf die Kalziumbilanz. Der folgende Beitrag beleuchtet die physiologischen, molekulargenetischen und klinischen Zusammenhänge dieser Wechselwirkung – mit besonderem Fokus auf die Relevanz für die ärztliche Praxis.

Das Wichtigste in Kürze
  • Calcium ist für Knochen, Zähne, Nervenleitung und Blutgerinnung unentbehrlich. Die intestinale Aufnahme hängt stark vom Vitamin-D-Status und von der Löslichkeit des Minerals im Darm ab – hier spielt Laktose eine entscheidende Rolle, da sie Calcium im Darmlumen löslich hält und dessen Resorption unterstützt.

  • Das LCT-Gen codiert das Enzym Laktase, das für die Spaltung von Laktose in Glukose und Galaktose verantwortlich ist. Bei der Genvariante G/G (rs4988235) wird zu wenig Laktase produziert, wodurch ungespaltene Laktose fermentiert wird – typische Symptome wie Blähungen, Durchfall oder Bauchschmerzen entstehen.

  • Betroffene verzichten häufig auf Milchprodukte – die Hauptquelle für gut verfügbares Calcium. Das kann zu einem langfristigen Calciumdefizit führen mit erhöhtem Risiko für Osteopenie, Osteoporose, Muskelkrämpfe oder Herzrhythmusstörungen.

  • Für die medizinische Praxis ist wichtig, dass Patient:innen mit LCT-rs4988235-G/G-Genotyp bei Laktoseintoleranz auf calciumreiche Alternativen (z. B. grüne Blattgemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte) oder gezielte Nahrungsergänzung zurückgreifen. Eine regelmäßige Kontrolle der Calciumwerte (halbjährlich bis jährlich) sowie eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung sind essenziell zur Sicherung der Calciumverwertung.

Inhaltsverzeichnis

Kalzium (Ca²⁺) ist ein zweiwertiges Kation mit herausragender systemischer Relevanz für nahezu alle Gewebearten des menschlichen Körpers. Als quantitativ bedeutsamstes Mineral liegt es im menschlichen Organismus in einer Gesamtmenge von etwa 1–1,5 kg vor. Der überwiegende Anteil ist in Form von Hydroxylapatitkristallen im Knochengewebe gespeichert, wo Kalzium gemeinsam mit Phosphat die strukturelle Stabilität und mechanische Belastbarkeit des Skeletts gewährleistet. Der restliche Teil des Kalziums befindet sich im Blutplasma sowie in der intra- und extrazellulären Flüssigkeit, wo das Ion in freier oder proteingebundener Form eine Vielzahl kritischer physiologischer Funktionen übernimmt. Diese nicht-strukturellen Funktionen umfassen unter anderem die elektromechanische Kopplung in Muskelzellen (einschließlich Myokard), die synaptische Reizweiterleitung im zentralen und peripheren Nervensystem, die Aktivierung gerinnungsrelevanter Proteine (z. B. Prothrombin), die Regulation hormoneller Sekretion (z. B. Insulin) sowie die intrazelluläre Signaltransduktion als universeller Second Messenger in nahezu allen Zelltypen. Aufgrund dieser zentralen Aufgaben ist der menschliche Organismus auf eine stabile Kalziumhomöostase angewiesen. Diese wird über ein komplexes hormonelles Regelwerk unter Kontrolle gehalten, in dem Parathormon (PTH), Calcitriol (aktive Form von Vitamin D₃) und Calcitonin antagonistisch regulierend eingreifen.

Im Zentrum dieser Regulation steht die intestinale Kalziumresorption. Die Effektivität dieser Resorptionsmechanismen ist abhängig von mehreren Einflussfaktoren: dem Vitamin-D-Status, der Kalziumkonzentration im Darmlumen, dem pH-Wert sowie der Anwesenheit von Begleitstoffen, die die Löslichkeit und Bioverfügbarkeit des Kalziums modulieren. Eine dieser Substanzen ist Laktose, der in Milch und Milchprodukten enthaltene Disaccharid-Zucker, bestehend aus Glukose und Galaktose. Laktose wirkt auf mehreren Ebenen kalziumfördernd: Zum einen stabilisiert sie die Kalziumionen im Darmlumen in löslicher Form, wodurch die Resorptionsrate gesteigert wird; zum anderen stimuliert sie über ihren osmotischen Effekt die Permeabilität der Darmzotten. Entscheidend für diesen Effekt ist jedoch die enzymatische Spaltung von Laktose, ein Prozess, der durch das Enzym Laktase-Phlorizin-Hydrolase vermittelt wird. Dieses wird im apikalen Bürstensaum der Enterozyten exprimiert und durch das LCT- kodiert.

Die Expression des LCT-Gens ist entwicklungsgeschichtlich auf den Säuglingszeitraum fokussiert, in dem Milch die primäre Nahrungsquelle darstellt. Bei vielen Menschen kommt es nach dem Abstillen zu einer physiologischen Reduktion der Laktaseaktivität. Ein Phänomen, das als Laktase-Nichtpersistenz bezeichnet wird. Ist die Laktaseaktivität im Erwachsenenalter vermindert oder vollständig erloschen, kann Laktose im Dünndarm nicht mehr adäquat gespalten werden. Die unverdauten Disaccharide gelangen in den Dickdarm, wo sie durch bakterielle Fermentation in kurzkettige Fettsäuren und Gase umgewandelt werden. Die Folge sind gastrointestinale Symptome wie Flatulenz, abdominelle Schmerzen, Diarrhö und Völlegefühl, klinisch als Laktoseintoleranz bekannt.

Aus ernährungsphysiologischer Sicht ergibt sich hier ein kritischer Zielkonflikt: Um Beschwerden zu vermeiden, verzichten viele Betroffene auf laktosehaltige Lebensmittel, darunter auch Milchprodukte, die in der westlichen Ernährung die wichtigsten Kalziumquellen darstellen. Die Folge ist eine signifikant reduzierte Kalziumzufuhr, die, sofern unbehandelt, zu funktionellen Mangelerscheinungen und strukturellen Schäden führt. Hierzu zählen eine verringerte Knochendichte (Osteopenie), manifestierte Osteoporose, neuromuskuläre Übererregbarkeit (Tetanie, Muskelkrämpfe), kardiovaskuläre Rhythmusstörungen, Störungen der Blutgerinnung sowie ein erhöhtes Frakturrisiko im Alter.

grafische Darstellung wie das LCT Gen die Aufnahme von Calcium beeinflusst.
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Implikationen für den Praxisalltag

Mit einer Veränderung im LCT-Gen ist man nicht nur eingeschränkt Milchprodukte zu genießen, sondern man verliert auch gleichzeitig den wertvollsten Calciumlieferanten aus unserer Ernährung. Diverse Käsesorten, sowie Kuh- und Ziegenmilch sind nämlich dafür bekannt, dass sie eine hohe Konzentration an Calcium beinhalten, die unser Körper über den Darm in den Blutkreislauf aufnehmen kann. Wenn das Calcium einmal im Blut aufgenommen ist, wird es durch den Körper transportiert und in die Knochen integriert. Doch Calcium spielt nicht nur eine essenzielle Rolle für unsere Knochen, es ist auch wichtig für unsere Zähne, die Übertragung von Nervensignalen und die Blutgerinnung. Niedrige Calciumspiegel können auch bereits im subklinischen Bereich unangenehme Befindlichkeitsstörungen, wie trockene, schuppige Haut, brüchige Nägel und strohiges Haar verursachen und in fortgeschrittenerem Stadium zu Muskelkrämpfen, Verwirrtheit, Gedächtnisverlust, Delir, Depressionen und Halluzinationen, sowie Krampfanfällen und Herzrhythmusstörungen führen. Es ist daher ganz entscheidend Risikogruppen frühzeitig zu identifizieren und einer entsprechend engeren Kontrolle der Calciumwerte zu unterziehen – eine Genanalyse kann dabei helfen. Jenen 31% Ihrer Patientengruppe, die statistisch betrachtet aufgrund des ungünstigen Genotyps G/G im LCT-Gen (rs4988285) Laktose tendenziell schlechter vertragen, ist folgende Vorgehensweise anzuraten: Bis erste Beschwerden auftreten können Milchprodukte weiterhin konsumiert werden. Werden jedoch erste Beschwerden bemerkt, sollte der Konsum von Milchprodukten reduziert und andere Kalziumquellen, wie Spinat, Grünkohl, Rucola und Linsen oder gezielte Nahrungsergänzung, bevorzugt werden. Außerdem ist spätestens ab diesem Zeitpunkt eine regelmäßige (6- bis 12-monatliche) Kontrolle der Calciumwerte anzuraten.

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