Aggressivität von Entzündungsreaktionen

Lesedauer: 46 Minuten 

Entzündungsprozesse sind integraler Bestandteil der angeborenen Immunantwort und entscheidend für Gewebereparatur, Pathogenelimination und zelluläre Homöostase. Bei dysregulierter Aktivität können sie jedoch chronisch progrediente Schäden induzieren und gelten heute als zentrale pathogenetische Treiber zahlreicher Zivilisationskrankheiten – von kardiovaskulären Erkrankungen bis hin zu neurodegenerativen und autoimmunologischen Störungen. Genetische Polymorphismen in proinflammatorischen Signalwegen modulieren die individuelle Entzündungsantwort teils erheblich. Insbesondere Varianten in Genen wie IL6, TNF, CRP oder IL1B sind mit einer gesteigerten Zytokinproduktion und verlängerten inflammatorischen Aktivität assoziiert. Dieser Beitrag beleuchtet die molekulargenetischen Grundlagen einer erhöhten Entzündungsneigung, deren klinische Relevanz und die sich daraus ableitenden Implikationen für eine individualisierte Prävention und Therapie im Rahmen chronisch-inflammatorischer Erkrankungen.

Das Wichtigste in Kürze
  • Entzündungen sind essenziell für die Immunabwehr, können aber bei chronischer oder überschießender Aktivierung schädlich sein. Besonders problematisch ist die sogenannte low-grade inflammation (stille Entzündung), die langfristig an vielen chronischen Krankheiten beteiligt sein können – darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Alzheimer und rheumatische Beschwerden.

  • Polymorphismen in Entzündungsgenen wie TNF-α, IL6, IL6R, IL1RN und CRP beeinflussen die individuelle Entzündungsneigung erheblich:
    • TNF-α (rs1800629 A/A): kann entzündliche Aktivität erhöhen → Risiko für chronische Entzündungen.
    • IL6 (rs1800795 C/C): kann zu erhöhtem IL-6-Spiegel führen → begünstigt stille Entzündungen.
    • IL6R (rs2228145 C/C): kann IL-6-Trans-Signaling verstärken → systemische Inflammation.
    • IL1RN (rs419598 T/T): kann IL-1Ra-Produktion reduzieren → geringere Entzündungshemmung.
    • CRP (rs3093066 G/G): kann CRP-Aktivität erhöhen → erhöhte systemische Entzündungsbereitschaft.

 

  • Für die medizinische Praxis ist wichtig, dass Patient:innen mit entsprechender genetischer Prädisposition frühzeitig erkannt und individuell betreut werden. Eine entzündungshemmende Lebensweise – mit Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D, pflanzenbasierter Kost, regelmäßiger Bewegung und Stressmanagement – kann gezielt eingesetzt werden, um langfristige Entzündungsfolgen zu vermeiden und personalisierte Präventionsstrategien zu entwickeln.
Inhaltsverzeichnis

Entzündungen gehören zu den grundlegendsten und zugleich komplexesten biologischen Reaktionsmechanismen des menschlichen Körpers. Sie stellen einen hochregulierten, evolutionär konservierten Prozess dar, mit dem der Organismus auf eine Vielzahl exogener und endogener Reize reagiert, darunter Infektionen, physikalische Verletzungen, toxische Substanzen, metabolischer Stress oder immunologische Dysregulation. Die primäre physiologische Aufgabe einer Entzündung besteht darin, eine potenzielle Schädigung zu begrenzen, eingedrungene Pathogene zu eliminieren, abgestorbene Zellen zu beseitigen und die Geweberegeneration einzuleiten. Eine korrekt ablaufende Entzündungsreaktion ist daher nicht nur wünschenswert, sondern essenziell für das Überleben.

Die klassische Entzündungsantwort lässt sich in vier Phasen gliedern: Erkennung, Aktivierung, Effektorphase und Resolution. In der Erkennungsphase detektieren spezialisierte Immunzellen sogenannte Gefahrensignale, entweder pathogenassoziierte molekulare Muster (PAMPs) wie Lipopolysaccharide bakteriellen Ursprungs oder körpereigene, durch Zellschäden freigesetzte DAMPs (damage-associated molecular patterns). Diese Signale werden über Rezeptoren wie Toll-like Receptors (TLRs) erkannt, was zur Aktivierung intrazellulärer Signalwege führt. In der folgenden Aktivierungsphase kommt es zur raschen Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren, darunter Zytokine wie TNF-α, IL-1β und IL-6, Chemokine, Prostaglandine und Leukotriene. Diese Moleküle orchestrieren eine lokale Vasodilatation, erhöhen die Permeabilität der Blutgefäße und ermöglichen das gezielte Einwandern von Immunzellen, insbesondere neutrophiler Granulozyten und Monozyten, in das betroffene Gewebe. In der Effektorphase eliminieren diese Zellen die auslösenden Schadfaktoren durch Phagozytose, enzymatische Degradation, oxidative Mechanismen und komplementvermittelte Prozesse. Gleichzeitig beginnt das Immunsystem, über antiinflammatorische Mediatoren (z. B. IL-10, TGF-β) und pro-resolutive Lipidmediatoren (z. B. Resolvine, Protectine) eine aktive Regulation und Auflösung der Entzündungsreaktion einzuleiten. Dieser Prozess ist essenziell für die Gewebshomöostase und die Vermeidung chronischer Schäden. Eine vollständige Resolution führt zur Gewebereparatur und zur Wiederherstellung der physiologischen Funktion.

Allerdings ist die Entzündungsreaktion ein zweischneidiges Schwert. Wenn die Rückregulation nicht adäquat funktioniert oder wenn persistierende Reize wie metabolischer Stress, Dysbiose, oxidativer Stress oder subklinische Infektionen vorliegen, kann die Entzündung chronisch werden. Diese niedriggradige, systemische Entzündungsaktivität, häufig als „silent inflammation“ oder „low-grade inflammation“ bezeichnet, verläuft meist symptomarm, zeigt jedoch eine anhaltende Aktivierung proinflammatorischer Signalwege und eine dauerhafte Präsenz inflammatorischer Biomarker im Gewebe und im Blut. Auf molekularer Ebene dominieren hier leicht erhöhte Spiegel von CRP, TNF-α, IL-6 sowie reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies. Diese Form der chronischen Entzündung ist pathophysiologisch hochrelevant: Sie gilt heute als zentraler Risikofaktor für eine Vielzahl chronischer Erkrankungen, darunter kardiovaskuläre Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Adipositas, neurodegenerative Erkrankungen (z. B. Alzheimer, Parkinson), chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und bestimmte Krebserkrankungen. Darüber hinaus wird sie mit dem Phänomen des „Inflammaging“ in Verbindung gebracht, einem durch chronische Entzündung beschleunigten Alterungsprozess, der zur funktionellen Verschlechterung von Organsystemen im höheren Lebensalter beiträgt. Ein entscheidender Aspekt, der über Ausmaß, Dauer und Schwere von Entzündungsreaktionen mitbestimmt, ist die genetische Prädisposition. Zahlreiche Studien belegen, dass Polymorphismen in zentralen Entzündungsgenen, insbesondere TNF-Alpha, IL6, IL6R, IL1RN und CRP, einen messbaren Einfluss auf die individuelle Entzündungsneigung haben. Diese Gene kodieren für Schlüsselmoleküle im Netzwerk der Immunregulation: TNF-Alpha und IL-6 sind primäre proinflammatorische Zytokine, IL6R beeinflusst deren Signaltransduktion, IL1RN wirkt als natürlicher Antagonist des Interleukin-1-Rezeptors, und CRP dient als systemischer Marker sowie potenzieller Verstärker entzündlicher Prozesse. Liegen diese Gene in bestimmten Varianten vor, etwa mit erhöhter Promotoraktivität oder veränderter Rezeptoraffinität, kann dies zu einer verstärkten oder verlängerten Entzündungsantwort führen. Diese genetischen Faktoren beeinflussen nicht nur das Entzündungsausmaß bei akuten Infektionen, sondern auch die Schwelle, ab der der Körper mit Entzündungen auf Alltagsreize wie Stress, Umweltbelastungen oder Ernährung reagiert.

Insbesondere bei Personen mit genetisch erhöhter Entzündungsbereitschaft können schon geringe, chronisch wirkende Reize zu einem permanenten Entzündungszustand führen. Diese stille Aktivierung ist häufig bereits im mittleren Lebensalter messbar, lange bevor klinische Symptome auftreten und stellt einen wesentlichen Ansatzpunkt für die personalisierte Prävention dar. Denn während die genetische Veranlagung nicht veränderbar ist, lässt sich ihr Einfluss durch gezielte präventivmedizinische Maßnahmen erheblich modulieren.

Created in https://BioRender.com

Implikationen für den Praxisalltag

Überaktive oder chronisch unterschwellig verlaufende Entzündungsreaktionen gelten heute als einer der zentralen Risikofaktoren für eine Vielzahl moderner Erkrankungen, darunter Herz-Kreislauf-Leiden, Typ-2-Diabetes, nichtalkoholische Fettleber, Autoimmunprozesse und neurodegenerative Veränderungen. Wie intensiv und wie langanhaltend der Körper auf Entzündungsreize reagiert, ist dabei nicht allein vom Lebensstil abhängig, sondern auch genetisch mitbedingt. Varianten in Genen wie IL6, TNF, IL6R, IL1RN oder CRP können die Produktion, Aktivität oder Rückregulation entzündlicher Signalstoffe beeinflussen. Menschen mit entsprechender Veranlagung zeigen häufiger eine überdurchschnittlich starke Immunantwort, selbst auf alltägliche Reize wie Stress, bestimmte Nahrungsbestandteile oder Umweltfaktoren. Die Folge: eine dauerhafte, stille Aktivierung des Immunsystems, die auf zellulärer Ebene Schaden anrichtet, lange bevor klinische Symptome entstehen.

Umso wertvoller sind gezielte Präventionsstrategien, die helfen, das entzündliche Gleichgewicht im Körper wiederherzustellen. Besonders empfehlenswert ist eine antientzündliche Ernährung, die reich an buntem Gemüse, Beeren, grünen Blattgemüsen, Hülsenfrüchten, Nüssen, hochwertigem Olivenöl und fettem Meeresfisch ist. Reduziert werden sollten entzündungsfördernde Komponenten wie Zucker, Weißmehl, Alkohol, trans-Fette sowie stark verarbeitete Lebensmittel. Eine ausreichende Versorgung mit entzündungsmodulierenden Mikronährstoffen, darunter Omega-3-Fettsäuren (EPA/DHA), Vitamin D, Magnesium, Zink, aktive B-Vitamine und Vitamin C kann die Immunbalance zusätzlich unterstützen. Ebenso hilfreich sind sekundäre Pflanzenstoffe wie Curcumin, Resveratrol, Polyphenole aus grünem Tee, OPC oder Quercetin, die gezielt in Entzündungsprozesse eingreifen.

Auch Bewegung wirkt entzündungsregulierend, insbesondere moderates Ausdauertraining, Intervalltraining oder Yoga, das zusätzlich das parasympathische Nervensystem stärkt. Ein weiterer wichtiger Hebel ist ausreichender Schlaf, da viele proinflammatorische Zytokine einem zirkadianen Rhythmus folgen. Regelmäßige Essenspausen oder Formen des Intervallfastens tragen darüber hinaus dazu bei, entzündliche Signalwege herunterzufahren und das Immunsystem zu regenerieren.

Wer seine genetische Entzündungsneigung kennt, kann gezielt und frühzeitig gegensteuern. Nicht durch restriktiven Verzicht, sondern durch bewusste, alltagstaugliche Entscheidungen. So lassen sich überschießende Immunreaktionen eindämmen, stille Entzündungen verhindern und die langfristige Gesundheit von Gefäßen, Organen und Stoffwechsel nachhaltig schützen.

Übersicht der verwendeten Literatur​​

DocCheck Flexikon. (n.d.). Entzündung. https://flexikon.doccheck.com/de/Entz%C3%BCndung

Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. (n.d.). Was ist eine Entzündung? https://www.helmholtz-hzi.de/wissen/wissensportal/entzuendung/

Lecturio. (n.d.). Entzündung – Definition, Phasen, Symptome. https://www.lecturio.de/artikel/medizin/entzundung/

Pinto-Sietsma, S. J., et al. (2005). Genetic variants and inflammation: Atherosclerosis context. PLoS ONE, 6(9), e69201. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0069201

SNPedia. (n.d.). rs1800629 (TNF gene). https://www.snpedia.com/index.php/Rs1800629

Wang, M., et al. (2023). Tumor necrosis factor gene polymorphism and cardiovascular inflammation. Microorganisms, 12(10), 1954. https://www.mdpi.com/2076-2607/12/10/1954

Zhou, B., et al. (2012). Interactions between CRP and TNF-α gene variants. Scientific Reports, 2, 267. https://www.nature.com/articles/srep32677

Zhou, B., et al. (2012). IL6, IL6R, TNF, CRP gene interactions in inflammation. Scientific Reports, 2, 267. https://www.nature.com/articles/srep32677

Fishman, D., et al. (2002). The effect of a novel polymorphism in the interleukin-6 gene on IL-6 transcription and plasma levels. Human Molecular Genetics, 11(3), 289–297. https://academic.oup.com/hmg/article/11/3/289/634575

Pinto-Sietsma, S. J., et al. (2005). Genetic variants and inflammation: Atherosclerosis context. PLoS ONE, 6(9), e69201. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0069201

SNPedia. (n.d.). rs1800795 (IL6 gene). https://www.snpedia.com/index.php/Rs1800795

Zhou, B., et al. (2012). Interactions between CRP and IL-6 gene variants. Scientific Reports, 2, 267. https://www.nature.com/articles/srep32677

Zhou, B., et al. (2012). IL6, IL6R, TNF, CRP gene interactions in inflammation. Scientific Reports, 2, 267. https://www.nature.com/articles/srep32677

SNPedia. (n.d.). rs419598 (IL1RN gene). https://www.snpedia.com/index.php/Rs419598

Ligthart, S., et al. (2016). Genome analyses of >200,000 individuals identify 58 loci for chronic inflammation and highlight pathways that link inflammation and complex disorders. American Journal of Human Genetics, 103(5), 691–706. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1043466621001605

Pinto-Sietsma, S. J., et al. (2005). Genetic variants and inflammation: Atherosclerosis context. PLoS ONE, 6(9), e69201. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0069201

SNPedia. (n.d.). rs3093066 (CRP gene). https://www.snpedia.com/index.php/Rs3093066

Zhou, B., et al. (2012). Interactions between CRP and IL6, TNF gene variants. Scientific Reports, 2, 267. https://www.nature.com/articles/srep32677

Zhou, B., et al. (2012). IL6, IL6R, TNF, CRP gene interactions in inflammation. Scientific Reports, 2, 267. https://www.nature.com/articles/srep32677

Ferreira, R. C., et al. (2013). Functional IL6R genetic variants and risk of inflammatory diseases. PLoS Genetics, 9(4), e1003444. https://journals.plos.org/plosgenetics/article?id=10.1371/journal.pgen.1003444

SNPedia. (n.d.). rs2228145 (IL6R gene). https://www.snpedia.com/index.php/Rs2228145

Zhou, B., et al. (2012). CRP gene interaction with IL6R SNPs. Scientific Reports, 2, 267. https://www.nature.com/articles/srep32677

Zhou, B., et al. (2012). IL6, IL6R, TNF, CRP gene interactions in inflammation. Scientific Reports, 2, 267. https://www.nature.com/articles/srep32677